Beim gemeinsamen Arzneimittelmarkt orientiert sich die EAWU an der EU
Bonn (GTAI) - Damit der gemeinsame Arzneimittelmarkt funktionieren kann, wurde ein System mit unterschiedlichen Rechtsakten geschaffen. Der Übergang erfolgt schrittweise. / Von Karin Appel
Der Rechtsrahmen des Systems umfasst derzeit 70 verschiedene Dokumente, darunter 27 Entscheidungen des Rates der Eurasischen Wirtschaftskommission, 12 Entscheidungen und 31 Empfehlungen des Ausschusses der Kommission.
Das Grundgerüst ist der am 29. Mai 2014 geschlossene Vertrag der EAWU, der unter anderem Grundnormen zur Einführung von einheitlichen Regeln für den Arzneimittelverkehr im Hoheitsgebiet der Union (Artikel 30) beinhaltet. Am 23. Dezember 2014 vertiefte die EAWU die Einigung über die gemeinsamen Grundsätze und Regeln für den Arzneimittelverkehr. Sie legte fest, welche Fragen bezüglich des Arzneimittelverkehrs auf die supranationale Ebene übergehen und welche im nationalen Zuständigkeitsbereich bleiben.
Das Regulierungssystem umfasst Gesetze und Empfehlungen
Das EAWU-Regulierungssystem über einen gemeinsamen Markt für Arzneimittel wird in drei Ebenen unterteilt:
Dokumente der ersten Ebene stellen zwischenstaatliche Rechtsakte dar und treten erst nach einem Ratifizierungsverfahren in jedem einzelnen EAWU-Mitgliedstaat in Kraft. Ein Beispiel hierfür ist das geschlossene Abkommen über den Verkehr von Arzneimitteln.
Dokumente der zweiten Ebene sind Entscheidungen des Rates und des Ausschusses der Eurasischen Wirtschaftskommission. Sie müssen von den Vizepräsidenten aller Mitgliedstaaten unterschrieben bzw. im letzteren Fall vom Rat der zehn Minister angenommen und dann vom Vorsitzenden unterschrieben werden. Diese Dokumente treten sofort in Kraft und es bedarf keines zusätzlichen nationalen Rechtsaktes. Sie haben darüber hinaus rechtlichen Vorrang vor den nationalen Rechtsakten der Mitgliedstaaten.
Hierzu gehört ein Paket von 19 Basisdokumenten. Diese reglementieren unter anderem die wesentlichen Anforderungen an Registrierung, Kennzeichnung, medizinische Verwendung, (gute) Herstellungspraxis der EAWU, Unterlagen für Qualitätskontrolle und Qualitätsstandards für Arzneibücher.
Auf der untersten Ebene stehen Dokumente, die Empfehlungen des EAWU-Ausschusses beinhalten. Sie bilden einen Standard für die Anwendung von Vorschriften in Bezug auf Arzneimittelverkehr. Die Umsetzung solcher Empfehlungen wird als „Standard der guten Praxis“ bezeichnet. Diese Standards betreffen im Wesentlichen bestimmte Fragen des Arzneimittelumlaufs. Bedeutung haben sie für Hersteller und Teilnehmer am Pharmamarkt, wenn sie einen vom Standard abweichenden Ansatz rechtfertigen wollen. Hersteller und Teilnehmer sind dann verpflichtet zu beweisen, dass ihr eigener Ansatz zumindest gleichwertig mit den Sicherheitsstandards aus den Empfehlungen ist.
Nach dem harmonisierten Arzneimittelverkehr folgt der gemeinsame Markt
Am 6. Mai 2017 trat der Beschluss N78 vom 3. November 2016 (zuletzt geändert am 23. April 2021) über einen gemeinsamen Markt für Arzneimittel und Medizinprodukte innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion mit einem eigenen Registrierungsverfahren in Kraft. Dieser Beschluss war der Start für deutliche Vorteile in Form von Import- und Exporterleichterungen für internationale Hersteller aus der Pharmaindustrie.
Eine umfassende Harmonisierung der Anforderungen an die technische Dokumentation, Qualitätssicherung und das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ermöglicht es, dass das in einem Mitgliedstaat der EAWU registrierte Medikament in allen anderen Mitgliedstaaten frei zugänglich und verkäuflich ist. Damit ist der Zugang zu einem Markt von 184 Millionen Menschen möglich. Dies führt letztendlich zu Gesamtkostensenkungen, indem zum Beispiel Kosten bei Zertifizierungen und Prüfungen gespart werden können.
Die EAWU orientiert sich an den EU-Vorschriften
Ein weiterer Vorteil ist, dass die EAWU die EU- und internationalen Qualitätsstandards und Forschungsansätze auf ihrem Markt weitestgehend umsetzen will. Knapp 95 Prozent der Rechtsvorschriften und Normen entsprechen bereits den europäischen Pendants. Ein Beispiel hierfür ist die russische gesetzliche Definition für Arzneimittel, die fast vollständig mit dem europäischen Definitionstext übereinstimmt.
Auch die in der EU verabschiedeten Richtlinien und Qualitätsregeln für „gute Arbeitspraxis in der Medizin, Pharmazie und pharmazeutischen Chemie“ (GxP) sowie die Empfehlungen der „Internationalen Konferenz zur Harmonisierung der technischen Anforderungen für die Registrierung von Humanarzneimitteln“ (ICH) wurden übernommen. Die Regeln für die Registrierung und Prüfung von Arzneimitteln der EAWU basieren auf der EU-Richtlinie 2001/83 EWG, die Regeln für gute Herstellungspraxis entsprechen den EU-GMP-Regeln von 2015.
Dennoch müssen Unternehmen beachten, dass die Regelungen zwar formal denen der EU entsprechen, aber die Auslegung in der Praxis abweichen kann. Daher ist es empfehlenswert, auf jeden Fall rechtzeitig das Gespräch mit den Regulierungsbehörden zu suchen, um Unklarheiten vorzubeugen.
Supranationale Regulierungsebene soll mehr Kompetenzen erhalten
Das Abkommen „über gemeinsame Grundsätze und Regeln für den Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der EAWU“ unterscheidet zwischen supranationaler und nationaler Ebene der Arzneimittelregulierung. Dadurch soll der höchste Schutz der Inlandsmärkte gewährt und mögliche negative Folgen auf Länderebene vermieden werden. Gemäß dem Abkommen sollen bestimmte derzeit noch national geregelte Themen künftig supranational verankert werden.
Die Themen der supranationalen Regulierungsebene umfassten insbesondere Forschung und Entwicklung, (prä-)klinische Studien, die Herstellung von Arzneimitteln, das Registrierungsverfahren, Standardisierung und Qualitätskontrolle, Pharmakovigilanz, Produktion und Großhandel. Momentan zählen zu den Aufgaben der nationalen Regulierung vor allem Preisgestaltung, Einzelhandel, Werbung und das öffentliche Beschaffungswesen.
Die Übergangsbestimmungen im Überblick
Der Übergang von nationalen zu supranationalen Regulierungen erfolgt schrittweise. Die derzeit wichtigsten Übergangsbestimmungen im Arzneimittelverkehr sind:
- Am 1. Januar 2016 begann die Übergangsperiode für Produkte mit nationaler Zulassung. Sie können bis zum 31. Dezember 2025 vertrieben werden.
- Am 27. April 2018 sind die „Regeln für die gute Vertriebspraxis“ in Kraft getreten. Nach zwei Jahren Praxiserfahrung wurde 2021 ein neuer Beschlussentwurf ausgearbeitet und in der neuen Fassung durch Anhang 15 erweitert.
- Bis zum 31. Dezember 2018 können alle Hersteller bei Kontrollen ein nationales GMP-Zertifikat (von den zugelassenen Stellen der Mitgliedstaaten ausgestellt) vorlegen.
- Ab dem 1. Juli 2021 können Hersteller einen Antrag für die Zulassung neuer Arzneimittel nur noch nach dem einheitlichen Verfahren der EAWU stellen.
- Zum 1. Januar 2026 laufen nationale Zulassungen endgültig ab.
Quelle: Germany Trade & Invest