Eurasische Wirtschaftsunion formt Industrienetzwerk
Industrielle Kooperationen fördern Lokalisierung und Innovationen / Von Dominik Vorhölter
Die Eurasische Wirtschaftsunion setzt auf industrielle Kooperationen zwischen den Mitgliedsländern. Ihre Industriepolitik fördert den gezielten Wissensaustausch von Unternehmern und Forschern.
Industrieunternehmen in der Eurasischen Wirtschaftsunion sind auf gegenseitigen Erfahrungsaustausch und Vernetzung untereinander angewiesen, um wettbewerbsfähig zu sein. Die Globalisierung und Digitalisierung erhöhen den Druck, die innovativen und materiellen Ressourcen in Russland, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan und Armenien effektiv zu nutzen. Die Eurasische Wirtschaftskommission fördert gezielt industrielle Zusammenarbeit, um Wertschöpfungsketten innerhalb des Wirtschaftsverbundes enger zu knüpfen und Technologietransfer zu gewährleisten.
Mehr Kooperation der Unternehmen untereinander und Technologietransfer bringen die lokale Produktion und somit die Importsubstitution voran. Ab 2020 sollen 60 Prozent der in den Industriebetrieben eingesetzten technischen Ausrüstungen aus der Eurasischen Wirtschaftsunion stammen. Bisher müssen rund 90 Prozent der Maschinen und Anlagen importiert werden, schreibt die Eurasische Wirtschaftskommission in einem Bericht zur Lage des Werkzeugmaschinenbaus.
Technologieplattformen vernetzen Industrieparks und Innovationszentren
Um Technologietransfer und Innovationen zu fördern, setzt die Eurasische Wirtschaftsunion auf Technologieplattformen. Diese verbinden Forschungseinrichtungen aus den Schlüsselbranchen der fünf Mitgliedstaaten mit der Wirtschaft. Unternehmer, Wissenschaftler und Fachverbände arbeiten zusammen an Hochtechnologieprojekten. Außerdem vernetzen die Technologieplattformen die Industrie- und Technologieparks der Eurasischen Wirtschaftsunion miteinander, von denen je über 200 existieren. Ziel ist, dass sich alle Akteure länderübergreifend über Best-Practice-Beispiele austauschen.
Mittlerweile gibt es 14 solcher Technologieplattformen. Eine 15. Plattform zu Lichttechnologien soll bald gegründet werden, teilte die Eurasische Wirtschaftskommission am 17. September 2018 mit. „Die Technologieplattformen sind der Schlüssel für die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Produkte auf dem Weltmarkt“, sagt der Direktor des Departements für die Industriepolitik der Eurasischen Wirtschaftsunion, Nikolai Kuschnarjew.
Eurasische Technologieplattformen
Nummer | Bezeichnung |
---|---|
1. | Medizintechnik, Life-Science, Pharmazie |
2. | Informations- und Kommunikationstechnologien |
3. | Photonik |
4. | Weltraumtechnologien |
5. | Kernenergie, Strahlentechnik |
6. | Energieerzeugung |
7. | Verkehrstechnik |
8. | Verhüttungs- und Weiterverarbeitungstechnik |
9. | Bergbautechnik |
10. | Chemie, Petrochemie |
11. | Elektrotechnik, Maschinenbau |
12. | Umwelttechnologien |
13. | Bauindustrie |
14. | Landwirtschaft, Biotechnologien, Leichtindustrie |
Quelle: Eurasische Wirtschaftskommission
Eurasisches Ingenieurzentrum stimuliert Innovationskraft
Die Industriepolitik der EAWU stimuliert gezielt die technologische Innovationskraft der Wirtschaft. Dafür wird an der Moskauer Staatlichen Universität STANKIN ein Eurasisches Ingenieurzentrum für Werkzeugmaschinenbau eingerichtet. Es soll als „Gehirn“ des Werkzeugmaschinenbaus fungieren. Außerdem wird es die Zusammenarbeit der nationalen Forschungszentren und den Austausch mit den Technologieplattformen koordinieren.
Harmonisierung der Technik fördert Kooperationsvermögen
Auf lange Sicht soll ein innovativer Werkzeugmaschinenbau nicht nur die Importsubstitution, sondern auch die digitale Transformation der Industrie voranbringen. Denn Unternehmen, die IoT-Plattformen aus dem Ausland einsetzen, stoßen mit ihrer Abhängigkeit von Softwareupdates, von Urheberrechten und Datenschutzrechten an Grenzen. Dies erschwert ihnen den Aufbau eines Netzwerkes zur technischen Kooperation mit anderen Unternehmen in der EAWU.
„Die meisten hochtechnologischen Werkzeugmaschinen kommen aus Italien, Deutschland oder den USA. Wir müssen mit ihnen die gleiche Sprache sprechen. Die Harmonisierung des Industrial Internet of Things gewinnt an Bedeutung“, sagt Alexander Petrow, Projektleiter für digitale Transformation in der Eurasischen Wirtschaftskommission.
Datenbank bildet Basis für länderübergreifende Industriekooperationen
Je mehr Hightech-Maschinen in der Industrie eingesetzt werden, umso größer werden die Möglichkeiten, Wertschöpfungsketten zu optimieren. Den Grundstein dafür hat die Eurasische Wirtschaftskommission bereits gelegt: Im Juli 2018 startete die vorläufige Version einer länderübergreifenden Datenbank. Darin sind bereits 3.035 Unternehmen aus Russland, 100 aus Kasachstan und 5 aus Belarus registriert.
Die Unternehmensdatenbank der EAWU ist über das Portal https://eurasianindustry.org/ zu erreichen. Damit können Erstausrüster, Zulieferer und Subunternehmer zueinander finden. Die Datenbank informiert, wo sich welche Unternehmen befinden, wie groß diese sind, welche Erzeugnisse sie herstellen und inwieweit sie für Kooperation infrage kommen. Die Verantwortung für dieses Projekt liegt beim russischen Staatsfonds für die Entwicklung der Industrie. Auf lange Sicht soll ein eurasisches Business-Ecosystem entstehen. Es sei gar ein Business-to-Business-Netzwerk denkbar, sagt Alexander Petrow.
Eurasische Entwicklungsbank fördert Zusammenarbeit
Für die systematische Umsetzung konkreter Projekte hat die Eurasische Wirtschaftskommission eine Roadmap mit der Eurasischen Entwicklungsbank erarbeitet. Diese sieht vor, die Mindestgröße für die Vergabe von Förderkrediten auf 1 Million Rubel (12.782,82 Euro; 1 Euro = 78,23 Rubel, Stand: 20. September 2018) zu senken. Außerdem übernimmt die Bank das Monitoring. Das heißt, sie ermittelt mögliche Kooperationspartner und begleitet diese. Bis Ende dieses Jahres will die Bank den Markt für Kfz-Teile sondieren und sich für mehr Lokalisierung engagieren.
Kasachische und russische Autobauer bauen gemeinsames Werk
Erste Ergebnisse gibt es bereits: Die Bank hat am 30. August 2018 eine Vereinbarung mit dem kasachischen Autohersteller AsiaAvto Kasachstan über die Finanzierung einer gemeinsamen Produktionsstätte mit dem russischen Autobauer AvtoVAZ geschlossen. Für die neuen Anlagen gewährt die Eurasische Entwicklungsbank bis 2028 einen Kredit über 4 Milliarden Rubel (51,14 Millionen Euro; 1 Euro = 78,23 Rubel, Stand: 20. September 2018).
Jährlich sollen bis zu 60.000 Autos produziert werden. Des Weiteren planen beide Unternehmen die Gründung eines Technologieparks, um eine Zuliefererindustrie am Standort Ust-Kamenogorsk in Ostkasachstan aufzubauen. Somit soll der lokale Fertigungsgrad von Kfz-Teilen mittelfristig verdoppelt werden.
Geplante und existierende Industriekooperationen in der Eurasischen Wirtschaftsunion (Auswahl)
Unternehmen/Länder | Branche | Projektbeschreibung | Investitionssumme (in Mio. US$) |
---|---|---|---|
AvtoVAZ (Russland), AsiaAvto Kasachstan | Automobilindustrie | Bau eines gemeinsamen Werks und Entwicklung eines Technologieparks für Zulieferindustrie in Ust-Kamenogorsk, Ostkasachstan | 67,1 |
Nationale Akademie der Wissenschaften Weißrusslands, staatliches Raumfahrtunternehmen Roskosmos (Russland), TOO Ghalam (Kasachstan)1) | Weltraumtechnologien | Gemeinsame Produktion eines Fernerkundungssatelliten. Der Projektentwurf soll noch dieses Jahr veröffentlicht werden. | k.A. |
KAZBelAZ, belarussisch-kasachisches Joint Venture mit dem belarussischen Nutzfahrzeughersteller BelAZ (Minderheitseigner 29 Prozent), AstanaBelAZ-Service (Minderheitseigner 20 Prozent)und Kazakhmys (Mehrheitseigner 51 Prozent)2) | Nutzfahrzeuge für den Bergbau | Im Rahmen der Lokalisierungspolitik ist eine Erweiterung der Kapazitäten am Standort Karaganda geplant. | k.A. |
1) Joint Venture zwischen dem europäischen Raumfahrt- und Verteidigungsunternehmen Airbus Space and Defence und dem Unternehmen Garysh Sapary, das der kasachischen Raumfahrtbehörde unterstellt ist. 2) Staatliches Kupferbergbauunternehmen mit Sitz in Almaty und Astana