Eurasische Wirtschaftsunion realisiert digitale Agenda
Erste richtungsweisende Projekte gestartet / Von Dominik Vorhölter
Die Eurasische Wirtschaftsunion setzt die Digitalisierung bis 2025 in drei Phasen um. Zunächst müssen normative Grundlagen geschaffen und die IT-Infrastruktur ausgebaut werden.
Die Eurasische Wirtschaftsunion will bis 2025 einen digitalen Wirtschaftsraum schaffen. Dafür einigten sich die Präsidenten der Mitgliedstaaten Belarus, Kasachstan, Russland, Armenien und Kirgisistan am 11. Oktober 2017 auf prioritäre Handlungsfelder. Demnach wird die digitale Transformation länder- und branchenübergreifend die Märkte für Waren, Dienstleistungen, Kapital, Arbeitskräfte und Industrie umfassen. Ebenso werden Verwaltungsstrukturen digitalisiert (eGovernment).
Digitale Technologien bilden Grundlage für Zusammenarbeit
Eine gemeinsam genutzte digitale Infrastruktur soll laut Strategiepapier langfristig die Zusammenarbeit von Unternehmen und Behörden vereinfachen und den Wissens- und Erfahrungsaustausch verbessern. Technisch basieren diese Prozesse hauptsächlich auf Big-Data-, Blockchain- und Industrie-4.0-Lösungen, die in den Mitgliedstaaten auf unterschiedlichem Niveau entwickelt sind. Entsprechend müssen zunächst die IT- und Telekommunikationsinfrastruktur länderübergreifend ausgebaut und die nationalen Gesetzgebungen angepasst werden.

Quelle: Eurasische Wirtschaftsunion
In drei Etappen zum digitalen Wirtschaftsraum
Derzeit läuft noch bis 2019 die erste Phase der digitalen Agenda, in der richtungsweisende Projekte angestoßen wurden. Darauf wird von 2020 bis 2022 die zweite Phase der Datengewinnung und -verarbeitung folgen. Begonnene Initiativen und Maßnahmen werden institutionalisiert. In der dritten Phase soll von 2023 bis 2025 die digitale Vernetzung von Institutionen, Unternehmern, Kunden und Behörden zu einem eurasischen Ecosystem intensiviert werden.

Quelle: Eurasische Wirtschaftskommission
Länder definieren richtungsweisende Projekte
Um die Digitalisierungsstrategie zu realisieren, hat die Eurasische Wirtschaftskommission am 25. Oktober 2017 ein Koordinierungsbüro eingerichtet. Dort können die EAWU-Mitgliedstaaten richtungsweisende Konzepte und Initiativen einreichen. Um diesen Prozess zu beschleunigen, veranstaltete die Eurasische Wirtschaftskommission einen Ideenwettbewerb, an dem sich rund 300 Start-up-Unternehmer aus allen fünf Mitgliedsländer beteiligten. Die Ministerin für Information und Kommunikationstechnologien der Eurasischen Wirtschaftskommission, Karine Minjasan, gab am 24. Oktober 2018 die Gewinner des Wettbewerbs bekannt. Sie bekommen Unterstützung bei der Umsetzung ihrer Projekte.
Digitale Pilotprojekte, die von der Eurasischen Wirtschaftsunion gefördert werden
Projekt | Land | Branche |
---|---|---|
Digitale Frachtbörse Apilog.kz - App für B2B-Kontakte in der Logistik; Ortung von Frachten und Steuerung von Transportrouten zur Verbesserung der Lieferkette | Kasachstan | Transport und Logistik |
Eurasische Factoring-Plattform - Übertragung von Forderungen an ein Finanzinstitut, Verbesserung des länderübergreifenden Handels mit Finanzdienstleistungen | Belarus | Finanzdienstleistungen |
CML-Bench - Einsatz von digitalen Simulationsmodellen in der Produktion | Russland | Ingenieursinformatik, Industrie 4.0 |
"Plattform 8" - Cloud-Computing-Platform, die Softwarelösungen wie Übersetzungsdienste, Webinare, Online-Konsultationen anbietet | Kirgisistan | Online-Dienstleistungen, Virtualisierung |
Shadowmatic-Projekt: Ein Puzzle, bei dem der Spieler abstrakte Objekte in einem Scheinwerfer dreht, um erkennbare Silhouetten in projizierten Schatten zu finden. | Armenien | Digitales Spielzeug |
Quelle: Eurasische Wirtschaftskommission
Harmonisierung von Standards und Normen nötig
Die Digitalwirtschaft soll langfristig den barrierefreien Fluss von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeitskräften innerhalb des gemeinsamen Binnenmarktes der Eurasischen Wirtschaftsunion unterstützen. Zudem erfordert der Einsatz von Cloud Services, Big Data, E-Government, Digital Twins und Industrie-4.0-Lösungen neue Standards und technische Regularien, zum Beispiel für Internetprotokolle. Dafür braucht die Eurasische Wirtschaftsunion eine eigene Gesetzgebung, an der die Mitgliedstaaten derzeit arbeiten.
Um diesen gesetzgebenden Prozess zu beschleunigen, setzt die Eurasische Wirtschaftskommission auf einen Dialog mit Wirtschafts- und Interessensvertretern. Dafür hat die Eurasische Wirtschaftskommission 2017 eine Informationsplattform (https://barriers.eaeunion.org) eingerichtet. Bürger, Unternehmer und Vertreter von Institutionen können sich über den Transformationsprozess der digitalen Märkte informieren und die Organe der Eurasischen Wirtschaftsunion auf normative Barrieren auf dem Weg zum gemeinsamen Binnenmarkt hinweisen.
Für den gemeinsamen Arbeitsmarkt fehlt beispielsweise noch eine einheitliche Regelung für das Aufenthaltsrecht der Arbeitsmigranten aus den Mitgliedstaaten. Auch weichen die nationalen Bildungsstandards innerhalb der EAWU im Bereich Informatik voneinander ab.
Gemeinsame Binnenmärkte in der Eurasischen Wirtschaftsunion
Bezeichnung |
---|
Markt für Dienstleistungen |
Energiemarkt (Handel mit Gas, Erdöl, Mineralöl und Strom) |
Finanzmarkt |
Arbeitsmarkt |
Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse |
Markt für Arzneimittel und medizinische Erzeugnisse |
Industriekooperationen bilden Netzwerk
Ein weiteres Element der digitalen Agenda ist die Errichtung eines Netzwerkes von Industriebetrieben. Schlüsselelemente sind dabei die eurasischen Technologieplattformen und eine länderübergreifende Datenbank, mit deren Hilfe Industriebetriebe, Zulieferer und Subunternehmer zueinander finden können. Industrielle Kooperationen fördern den Wissens- und Erfahrungsaustausch und die Importsubstitution bei Industrie-4.0-Lösungen.
Datenbanken vereinfachen länderübergreifende Zusammenarbeit
Zentral gesteuerte IT-Systeme sollen laut Digitalisierungsstrategie die branchen- und länderübergreifende Zusammenarbeit vereinfachen. Für Prozesse an der Schnittstelle zwischen Unternehmen, Verwaltungsorganen und Bürgern sollen Informationssysteme eingerichtet werden.
Die Eurasische Wirtschaftskommission plant beispielsweise ein Informationssystem für Transportdienstleistungen zu schaffen. Damit können Bewegungen von Kfz und Waren auf dem Territorium der Eurasischen Wirtschaftsunion überwacht werden. In das System sollen Daten über Verstöße und Zahlungen einfließen. Darauf sollen nicht nur die Behörden, sondern auch die Transportunternehmen zugreifen können. Ziel ist die Einrichtung von digitalen Transportkorridoren, um Spediteure schneller zu kontrollieren und Kosten zu sparen. Als ersten Schritt haben die Mitgliedstaaten beschlossen, eine länderübergreifende Kfz-Datenbank auf Basis elektronischer Kraftfahrzeugscheine anzulegen.
Des Weiteren sieht die digitale Agenda vor, Datenbanken für eine bessere Zusammenarbeit in der Landwirtschaft einzurichten. Dafür sollen digitale Register für landwirtschaftliche Nutzpflanzen, Zuchttiere und Zuchtleistungen, für landwirtschaftliche Forschungsaktivitäten sowie eine Prognosedatenbank für die Entwicklung der Agrarmärkte entstehen.
Einheitlicher Finanzmarkt nimmt Formen an
Die Zentralbanken der Mitgliedstaaten verständigen sich am 17. September 2018 darüber, ihre nationalen Regeln zu Finanzmärkten zu vereinheitlichen. Außerdem wirbt der russische Ministerpräsident, Dmitrij Medwedjew dafür, Kryptowährungen auf EAWU-Ebene zu erlauben. Belarus und Kirgisistan sind dagegen.
Für risikoreiche FinTech- oder Start-up-Projekte sollen länderübergreifende Fonds eingerichtet werden. Für belarussische und russische Projekte steht seit dem 10. Dezember 2017 der belarussisch-russische Venture-Capital-Fonds zur Verfügung. Er enthält für zehn Jahre 1,4 Milliarden Rubel.
Unterschiedlicher Entwicklungsstand muss aufgeholt werden
Der Erfolg der digitalen Agenda steht und fällt mit dem Entwicklungsstand der Informations- und Telekommunikationstechnik in den einzelnen Mitgliedsländern. Da gibt es noch Luft nach oben. Im globalen Index der International Telecommunication Union 2017 belegt Belarus Platz 32 von 175 Ländern. Damit ist das Land Spitzenreiter, gefolgt von Russland (45), Kasachstan (52), Armenien (75) und Kirgisistan (109). Der Index misst den Zugang und die Nutzung von Internet und Mobiltelefonen sowie die Kompetenz der Bevölkerung im Umgang mit den Technologien.
Position der Eurasischen Wirtschaftsunion beim Index der International Telecommunication Union
Land | Rang | Haushalte mit Internetzugang in Prozent | Festnetzanschlüsse pro 1.000 Einwohner | Mobilfunkanschlüsse pro 1.000 Einwohner | Internetnutzer in Prozent |
---|---|---|---|---|---|
Belarus | 32. | 62,46 | 490 | 1.242 | 71,1 |
Russland | 45. | 74,8 | 228 | 1.633 | 76,4 |
Kasachstan | 52. | 84,4 | 223 | 1.500 | 76,8 |
Armenien | 75. | 60,5 | 178 | 1.148 | 62,0 |
Kirgisistan | 109. | 18,8 | 66 | 1.314 | 34,5 |
Quelle: International Telecommunication Union