Russland forciert Lokalisierung von Saatgut
Moskau (GTAI) – Russlands Landwirte sollen unabhängiger vom Ausland werden. Dazu fördert die Regierung die Produktion von Saatgut. Deutsche Hersteller lokalisieren vermehrt.
Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau
Russland möchte den Anteil einheimischen Saatguts auf seinen Äckern steigern. Präsident Putin hat im Januar 2020 eine neue Doktrin zur Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln bestätigt. Sie legt unter anderem Werte für den Selbstversorgungsgrad bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen fest. Saatgut für wichtige Kulturpflanzen soll künftig zu 75 Prozent aus einheimischer Produktion kommen. Die neue Regierung von Premierminister Michail Mischustin muss innerhalb von drei Monaten einen Aktionsplan für das Umsetzen der Doktrin ausarbeiten. Derzeit dominieren bei einer ganzen Reihe von Feldfrüchten wie Zuckerrüben, Kartoffeln, Soja, Sonnenblumen oder Raps ausländische Samen.
Landwirte benötigen mehr qualitativ hochwertiges Saatgut
Die Landwirtschaft bleibt weiterhin ein wichtiger Wachstumstreiber in Russland. Für 2020 erwartet das Landwirtschaftsministerium einen wertmäßigen Anstieg der Produktion landwirtschaftlicher Güter um 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2019 belief sich der Zuwachs nach ersten Prognosen auf 2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei der Getreideernte konnten etwa 120,7 Millionen Tonnen eingefahren werden, ein Plus von 6,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Darunter waren 75 Millionen Tonnen Weizen. Der Zuckerrübenertrag stieg 2019 um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf 53 Millionen Tonnen.
Präsident Putin hat in seinen „nationalen Projekten“ der Landwirtschaft ehrgeizige Zielvorgaben gesetzt: Bis 2024 soll der Wert landwirtschaftlicher Ausfuhren auf 45 Milliarden US-Dollar steigen. Den Großteil der Exporterlöse sollen dabei Feldfrüchte erbringen. Bis 2024 sollen die Ernteerträge bei Getreide auf 141 Millionen Tonnen und bei Ölsaaten auf 29,3 Millionen Tonnen steigen. Ein wichtiger Schlüssel zum Erreichen der Zielvorgaben liegt in der Qualität des ausgebrachten Saatguts.
Staat fördert Entwicklung der Saatgutproduktion
Das Landwirtschaftsministerium, dem im neuen Kabinett weiterhin Dmitri Patruschew vorsteht, will im Rahmen des „wissenschaftlich-technischen Zielprogramms zur Entwicklung der Landwirtschaft bis 2025“ insgesamt 15 Unterprogramme zur Förderung der Produktion von Saatgut erarbeiten. Mit dem Verband der Züchter und Saatguterzeuger (NSSiS) hat das Landwirtschaftsministerium bereits im Dezember 2019 eine Vereinbarung zur Entwicklung der Saatgutproduktion geschlossen. Im Fokus stehen vor allem Sorten, die für den Einsatz in verschiedenen Klimazonen geeignet sowie widerstandsfähig gegen Frost, Hitze, Dürre oder Schädlingsbefall sind.
Im Rahmen des im April 2019 verabschiedeten „föderalen wissenschaftlich-technischen Programms zur Entwicklung von Gentechnologien“ fließen etwa 1,5 Milliarden Euro in die Erforschung von Genome Editing-Verfahren. Bis 2027 sollen 30 genetisch verbesserte Saatgutkulturen gezüchtet werden, darunter Gerste, Kartoffeln, Weizen und Zuckerrüben. Damit sollen die Ernteerträge erhöht und die Verluste durch Schädlinge verringert werden. Ein weiteres 160 Millionen Euro schweres Pilotprogramm fördert die Entwicklung von Saatkartoffeln.
Import von Saatgut bleibt mittelfristig hoch
Mit diesen Initiativen und Programmen will die Regierung die hohe Abhängigkeit russischer Landwirte von ausländischem Saatgut verringern. Bei Mais beläuft sich der Importanteil auf 62 Prozent der ausgesäten Menge, bei Raps auf 88 Prozent und bei Zuckerrüben auf beinahe 100 Prozent. Saatkartoffeln stammen nur für zwei der zehn beliebtesten Sorten aus einheimischer Herstellung. Bei Weizen, Buchweizen oder Hirse haben hingegen russische Saatgutproduzenten die Nase vorn.
Trotz erster Erfolge bei der Entwicklung einheimischen Saatguts dürfte die Importquote mittelfristig hoch bleiben. Vor allem bei der Qualität und Produktivität ist ausländisches Saatgut der einheimischen Konkurrenz überlegen. Auch dank ihrer engmaschigen Vertriebsnetze können ausländische Hersteller bei den Kunden punkten.
Saatguthersteller investieren in lokale Produktion
Russische und ausländische Hersteller planen Investitionen in den Bau neuer Werke. Das russische Unternehmen Agroterra startete 2019 im Gebiet Pensa mit der Produktion von Sojasamen. Ende 2019 nahm das Unternehmen zudem eine Linie zur Saatguterzeugung im Gebiet Kursk in Betrieb. Die französische Euralis Semences Group steckt bis 2022 etwa 32,4 Millionen Euro in die Errichtung einer Produktion von Saatgut im Gebiet Woronesch. Die französische Firma Caussade Semences erwägt eine Zusammenarbeit mit Unternehmen aus dem Gebiet Orenburg bei der Herstellung von Samen für Weizen, Mais, Sonnenblumen, Raps und Soja.
Deutsche Unternehmen wollen ihre Marktposition festigen
Saatguthersteller aus Deutschland sind stark auf dem russischen Markt vertreten. Das Unternehmen Ekosem-Agrar des deutsch-russischen Milchproduzenten Stefan Dürr hat im Gebiet Kursk eine Anlage zur Produktion von Getreidesaaten errichtet. Auch die Herstellung von Saatgut für Mais soll ausgebaut werden. Mit etwa 30.000 Tonnen Absatzmenge pro Jahr gehört Ekosem-Agrar zu den größten Saatgutproduzenten in Russland.
Bayer hat im Jahr 2019 dem „Zentrum für Technologietransfer“ – als Gegenleistung für das Einverständnis zur Fusion mit Monsanto – gentechnisch veränderte Pflanzenkulturen zur Verfügung gestellt, darunter Mais, Soja, Raps und Weizen. Der deutsche Chemieriese unterstützt die staatliche Dschambulatow-Agraruniversität in der Republik Dagestan beim Aufbau eines Forschungs- und Lehrzentrums zur Entwicklung von Saatgut.
Die German Seed Alliance fungiert seit mehr als 10 Jahren als Distributor für deutsche Hersteller und ist mit 16 Kulturen und 93 Sorten auf dem russischen Markt vertreten. Die Firma Strube International liefert Samen und Hybridsaatgut für Zuckerrüben, Weizen und Sonnenblumen nach Russland.
Der Hamburger Saatguthersteller Solana plant den Ausbau der Selektion von Pflanzgut für Speisekartoffeln in Russland. KWS erwägt, im Gebiet Lipezk für 17 Millionen Euro ein Werk zur Produktion von Saatgut zu errichten.
Bürokratie erschwert Marktzugang
Deutsche Saatgutexporteure haben häufig mit hohen Einfuhrhürden nach Russland zu kämpfen. Unternehmensvertreter beklagen, dass importiertes Saatgut bei der Anerkennung durch russische Behörden auf unfaire Weise benachteiligt werde. Derzeit müssten sie bis zu sechs Etappen durchlaufen, um eine Einfuhrgenehmigung zu erhalten.
Präsident Putin hat Ende Dezember 2019 Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew sowie die Aufsichtsbehörde Rosselchosnadzor angewiesen, unerfüllbare bürokratische Anforderungen an die Importeure von Saatgut abzuschaffen. Diese Barrieren würden die Versorgung mit Saatgut und damit die Erreichung der Exportziele bis 2024 infrage stellen.
Quelle: Germany Trade & Invest